Essay "40 Jahre Tatort"
Wo waren
Sie am Sonntagabend?
...
Manchmal ist der
Sonntagabend für den Krimiautor schmerzlich: Jenseits jeder
Logik oder ohne die Grundregeln des Genres zu beachten, werden
da aufwändig inszenierte Geschichten gezeigt. Und plötzlich
stört sich niemand an Ungereimtheiten: Gerichtsmediziner
und Polizist sind gleichzeitig Vermieter und Mieter, eine ganze
Kleinstadt verschreibt sich dem Satanismus und Ludwigshafen ist
ein Barockjuwel mit Autokennzeichen MA. Wenn in einem meiner Bücher
auch nur ein Straßenname falsch ist, habe ich einen pensionierten
Oberstudienrat im Nacken. Was also stimmt uns beim Tatort so gnädig?
1. Der Tatort gehört zur Familie, und wir sind es gewohnt,
dass man Familienmitgliedern eine Menge verzeihen muss.
2. Der Tatort kommt zum schlimmsten Zeitpunkt der Woche, nämlich
am Sonntagabend, und irgendwie schafft er es, uns von unserer
Wochenend-Enddepression abzulenken. Und sei es deshalb, weil er
uns ärgert.
3. Vielleicht nicht allzu oft, aber immer wieder ist er eben auch
richtig gut, der gute alte Tatort. Ein Teil der Spannung verdankt
sich der bangen Frage: Wie wird er heute?
Er ist nicht so trendy wie
CSI
, nicht
so depressiv wie
Wallander
, selten
richtig gruselig, kaum je absolut langweilig und eigentlich nie
geschmacklos. Mal abgesehen von manchen musikalischen Beigaben vielleicht
Midnight Lady war wirklich bitter.
Der Tatort entzieht sich einfach allzu strengen Kriterien, denn
er hat die meisten seiner Kritiker längst überlebt.
Das spüren auch die, die ihm heute zu Leibe rücken:
Den kriegen wir nicht klein.
Warum denn auch? Im Rückblick über die Jahrzehnte tauchen
einfach zu viele Bilder im Kopf auf, an denen man hängt:
Klaus
Schwarzkopf
alias
Kommissar Finke
aus
Kiel, der seinem Assistenten das Schnitzel wegisst; Michael Fitz
freche Nebenrolle als
Carlo Menzinger
im Tatort
aus München; der ölige
Gerichtsmediziner Professor
Boerne
und seine kleinwüchsige
Assistentin
Silke Alberich Haller
aus Münster; ganz
früher
Hansjörg Felmy
als Essener
Kommissar
Heinz Haferkamp
: So ich den Schlafanzug rechtzeitig anhatte,
durfte ich seine Tatort-Episoden zur Hälfte sehen, weil
der ja ein wirklich guter Schauspieler ist. Aber um neun bist du
im Bett. Und natürlich
Schimanski
mit
seinem Kollegen Thanner. Der ewige Assistent des tollen Duisburg-
Rambos war mir der liebste. Das geht wohl nicht nur mir so: Im ersten
Saarbrücken- Tatort hatte er einen Gastauftritt. Am folgenden
Montag war germanistisches Hauptseminar an der Uni. Welches Thema
dort anstand, weiß ich nicht mehr, aber dass wir uns alle
über Thanners überraschenden Auftritt gefreut haben, steht
mir noch klar vor Augen. In Heidelberg und Mannheim sind sogar Kneipen
nach ihm benannt.
...
Ich würde gerne
mal einen Tatort schreiben. Zwei Dinge gäbe es in meinem Sonntagabend-Krimi
aber sicher nicht: Affären zwischen Ermittlern und Verdächtigen,
das ist einfach furchtbar unwahrscheinlich, und einen Meisterkoch
in Uniform. Dessen Dasein wäre auch beim tausendsten Versuch
nicht glaubhafter. Stattdessen wäre es ein Heidelberg-Tatort!
Mit Schloss, Kampfkunstjapaner, amerikanischem Waffenschmuggler
und sexy Studentinnen. Demnächst vielleicht. Sonntagabend,
Viertel nach acht.
...
Quelle:
VRN Hin & Weg/Heft 19/Herbst/Winter 2007/2008
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